Abenteuer Klassiker Rezensionen

Sir Gawain und der Grüne Ritter

Genre: mittelalterliche Ritterromanze, Artusepik
Seiten: 167
Verlag: Klett-Cotta
ISBN: 978-3608932638
Meine Bewertung: 3,5 von 5 Sternchen

In diesem mittelenglischen Text von etwa 1400 sprengt ein seltsamer grüner Ritter die unbeschwerte Festgesellschaft König Artus‘. Er fordert die versammelten Ritter heraus: Einer von ihnen dürfe ihm einen Schlag versetzen und müsse ein Jahr später zur Grünen Kapelle reiten, um dort einen ebensolchen Schlag zu empfangen. Sir Gawain nimmt die Herausforderung an und schlägt dem grünen Ritter den Kopf ab, den dieser daraufhin unter den Arm nimmt und von dannen zieht.
Ein Jahr später muss also nun Gawain aufbrechen und sich dem Schlag des Ritters stellen. Doch auf dem Weg zur Grünen Kapelle kommt er zu einem Schloss, wo er einige Tage verbringt – und dabei in Versuchung geführt wird.
Das wird nun eine etwas andere Rezension, da ich nicht umhin konnte, „Sir Gawain und der Grüne Ritter“ mit all den isländischen Sagas zu vergleichen, die ich gerade lese. Diese sind zwar etwas früher niedergeschrieben worden, aber es handelt sich doch in beiden Fällen um mittelalterliche Literatur von unbekannten Verfassern, die vornehmlich von Kämpfen und Abenteuern erzählt.
„Sir Gawain und der grüne Ritter“ ist in der vorliegenden Prosaübersetzung sehr flüssig zu lesen – und deutlich leichter zugänglich als die meisten Sagas. Statt einem umfangreichen Personal samt Verwandtschaft werden hier lediglich die wichtigsten Figuren eingeführt. Dafür wird deren Aussehen und vor allem auch deren Kleidung sehr viel Raum gewidmet, während so etwas in den Sagas in der Regel kaum Erwähnung findet.
Sehr unterschiedlich ist auch die Lebenswelt der Figuren, die hier präsentiert wird: Der höfischen Gesellschaft von Artus mit Rittern, die offensichtlich die meiste Zeit mit Festen, Turnieren und der einen oder anderen Abenteuerfahrt beschäftigt sind, steht die sehr bodenständige, skandinavische Gesellschaft von angesehenen Bauern gegenüber, die Arbeit auf ihrem Hof zu verrichten haben und Gerichtsfälle auf dem Thing lösen müssen. Letztere wirkt – trotz recht fremder Wertesysteme – greifbarer und lebensnaher als die erhöhte Gesellschaft rund um König Artus.
Und schließlich sind auch viele Sagahelden deutlich ambivalenter gezeichnet, mit Fehlern und Schwächen und oft auch einem hässlichen Aussehen (das keineswegs auf einen schlechten Charakter hindeutet). Gawain hingegen ist schön, edel und tugendhaft in jeder Hinsicht. Gerade diese Tugend wird stark auf die Probe gestellt. Man bekommt schon beinahe Mitleid mit ihm, wenn er kaum noch weiß, wie er sich der Avancen der Hausherrin erwehren soll – und dennoch versucht, standhaft zu bleiben.
Dass ihn eine kleine Verfehlung schließlich in arge Zweifel stürzt und zu einer wahren Flut von Selbstvorwürfen führt, ist aus heutiger Sicht etwas schwer zu verstehen, aber man kann sich als moderner Leser damit trösten, dass es auch die anderen Ritter nicht so recht nachvollziehen können.
Insgesamt ist „Sir Gawain und der Grüne Ritter“ eine schöne Erzählung, die sich flott lesen lässt und auch ein paar interessante Konflikte aufwirft. Rein stilistisch geht natürlich in einer Prosaübersetzung viel verloren, aber ich bin nun einmal nicht imstande, mittelenglische Stabreimdichtung flüssig zu lesen. 😉
Durch die derzeit intensive Beschäftigung mit isländischen Sagas gingen mir die Vergleiche beim Lesen ganz von selbst durch den Kopf. Deutlicher leichter zugänglich ist auf alle Fälle „Sir Gawain und der Grüne Ritter“, auf eine gewisse Weise kraftvoller finde ich aber die Sagas.

1 thought on “Sir Gawain und der Grüne Ritter

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