Erzählungen Klassiker Rezensionen

Rudyard Kipling – Dunkles Indien

Genre: Erzählungen, Klassiker
Seiten: 291
Verlag: edition divibib
ISBN: 978-3956081491
Meine Bewertung: 4 von 5 Sternchen

Ein Jahr mit Nobelpreisträgern


In den 19 Kurzgeschichten dieser Sammlung ist der titelgebende Name Programm: Es handelt sich fast durchwegs um „dunkle“ Geschichten, die von Geistererscheinungen berichten, von ruhelosen Toten, Flüchen und rätselhaften Vorgängen. Manche der Erzählungen sind tatsächlich phantastisch-übernatürlich, andere nur mysteriös oder düster.
Ich habe vorher noch nie etwas von Kipling gelesen (das „Dschungelbuch“ kenne ich nur in der Version von Disney, die ich noch nie besonders mochte) und war sehr beeindruckt von seinem Sprachstil. Natürlich, er hat den Literatur-Nobelpreis erhalten, aber auf diese Wucht von anschaulichen Beschreibungen und phantasievollen Schilderungen war ich dennoch nicht vorbereitet. Gleich die erste Geschichte sticht hier besonders heraus: Wie Kipling darin die Hitze einer indischen Nacht beschreibt, ist nahezu überwältigend.
Kiplings Erzählungen sind aber nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich sehr interessant. Ich mochte nicht alle gleich gern und fand gerade jene, die tatsächlich von übernatürlichen Vorgängen berichten, am faszinierendsten. Kipling hat wirklich ein Händchen für dunkle Phantastik und sorgt vor allem mit den Geschichten „Das Stigma des Tieres“ und „Imrays Rückkehr“ für ein wohliges Gruseln.
Manche Erzählungen waren mir allerdings fast ein wenig zu rätselhaft – so hatte ich etwa bei „Morrowbie Jukes‘ Ritt zu den Toten“ das Gefühl, ein wenig auf der Strecke zu bleiben.
Was nun Kiplings Blick auf Indien betrifft – nun ja. Er versteht es durchaus, sich in seinen Geschichten auch in die einheimische, oft arme Bevölkerung einzufühlen und übt manchmal auch eine Kritik an den Sahibs. Dennoch ist sein Standpunkt ganz klar der des britischen Kolonialisten und man spürt schon immer wieder eine leichte Überheblichkeit, mit der er auf die Inder herabblickt.
Die Sammlung „Dunkles Indien“ vereint eine ganze Reihe von faszinierenden und geheimnisvollen, manchmal auch skurrilen Geschichten. Einige von ihnen wirken sehr fremdartig, andere wiederum eher vertraut-traditionell. Sie alle bieten einen interessanten Einblick in das Indien der britischen Kolonialzeit, das Kipling auch dank seiner Sprachgewalt sehr anschaulich darstellt.
Manchmal war mir sein Blick aber zu sehr der des überlegenen Kolonialherren und manche der Geschichten konnten mich auch auf der Handlungsebene nicht gänzlich überzeugen. Trotzdem eine sehr lesenswerte Kurzgeschichtensammlung, die einen höheren Bekanntheitsgrad verdient hätte.

7 thoughts on “Rudyard Kipling – Dunkles Indien

  1. Ich würde ja gern noch wissen, wie dir "Kim" gefällt (auch wenn du vermutlich nach diesem Buch erst einmal eine Kipling-Pause benötigst), den Roman liebe ich wirklich.

    Was Kiplings Kolonialherren-Mentalität angeht: Ich glaube, es ist schwierig zu seiner Zeit aufzuwachsen und nicht gewisse Ansichten und Vorurteile zu haben – umso schöner finde ich die Momente, in denen er einen anderen Blick auf Indien und die Bevölkerung zeigt. Ganz unkritisch kann man seine Werke definitiv nicht sehen, aber ich kann sie trotzdem genießen.

    1. Ja, ich konnte die Geschichten auch trotzdem genießen, aber manchmal hat es mich eben doch gestört.
      Mal sehen, ob ich "Kim" noch lesen werde. So wirklich reizt mich der Roman nicht, aber vielleicht bekomm ich ja doch noch Lust darauf.

  2. Ich habe von Kipling noch nie etwas gelesen und "Das Dschungelbuch" reizt mich auch kein bisschen.
    Aber das hier schon – klassische Erzählungen mit einem düsteren, schaurigen Touch – perfekt!

  3. Mich hast du damit jetzt auch ganz neugierig gemacht … Werde mal gucken, ob ich die Geschichten im Original finde. Englischsprachige Nobelpreisträger will ich ja im Original lesen. Inhaltlich scheinen diese Geschichten jedenfalls genau in mein Leseschema zu passen – danke für den tollen Tipp!

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