Klassiker Rezensionen

Thomas Hardy – Am grünen Rand der Welt

erschienen bei dtv

Als die junge Bathsheba Everdene die Farm ihres Onkels erbt, beschließt sie diese selbst zu führen, ohne Hilfe eines Verwalters. Während sie diese Aufgabe besser meistert als alle ihr zugetraut hätten, läuft es für sie in Liebesangelegenheiten nicht so gut. Nicht weniger als drei Männer buhlen um ihre Gunst (der Schäfer Gabriel Oak, der wohlhabende Farmer Boldwood und der verwegene Soldat Troy) und lassen sie so einige Fehlentscheidungen treffen.

Der britische Schriftsteller Thomas Hardy (1840-1928) siedelte eine ganze Reihe von Romanen in der fiktiven Region Wessex an, die er an seine Heimat Dorset anlehnte. Einer dieser Romane ist „Far from the Madding Crowd“ von 1874, der ursprünglich als Fortsetzungsgeschichte in einer Zeitung erschien. Da ich sehr gerne Klassiker aus dem 19. Jahrhundert lese, waren meine Erwartungen hoch, wurden aber nur zum Teil erfüllt.

Sprachlich fand ich „Am grünen Rand der Welt“ sehr schön. Thomas Hardy beschreibt Landschaften und Situationen ausführlich und mit viel Beobachtungsgabe. Seine feine Ironie brachte mich oft zum Schmunzeln und verhalf der Geschichte zu einer gewissen Leichtigkeit, auch wenn die Handlungsentwicklung über weite Strecken nicht gerade optimistisch ist. Es gefiel mir auch gut, wie der Autor das Leben auf der Farm schildert. Das Erzähltempo ist ruhig, was manche vielleicht als langweilig empfinden könnten, was für mich aber eine der großen Stärken von Klassikern ist. Man kann hier so richtig schön in die Atmosphäre des ländlichen England eintauchen.

Womit ich bei diesem Roman aber Probleme hatte, waren die Figuren. Zu Beginn fand ich sowohl den ruhigen, pflichtbewussten Gabriel, als auch die unabhängige Bathsheba sehr sympathisch, aber im Laufe der Geschichte fand ich es immer schwieriger Bathsheba zu verstehen. Sie handelt sprunghaft und irrational, sobald es um ihre Gefühle geht, und legt dabei auch immer wieder eine Naivität an den Tag, die ich angesichts dessen, wie sie anfangs dargestellt wird, nur schwer nachvollziehen konnte. Ihr Charakter ergab für mich keinen Sinn und kam mir oft so vor, als würde Hardy einfach ein sehr verallgemeinerndes Frauenbild hineinprojizieren – nach dem Motto „die Frau, das unbekannte Wesen“. Ein paar Aussagen in dem Roman (nicht nur von Männern, sondern auch von Bathsheba selbst) gehen auch in die Richtung, dass die weibliche Seele unmöglich zu verstehen wäre. Die übrigen Frauen scheinen überhaupt kaum einen eigenen Charakter zu haben, sondern lediglich Typen zu verkörpern.

Und falls mir nun jemand mit dem zeitlichen Kontext kommt: „Anna Karenina“ erschien 1877, also etwa zur selben Zeit, und hat vielschichtige und interessante Frauenfiguren.

Fairerweise muss man sagen, dass bei Hardy auch die männlichen Figuren nicht sehr viel Entwicklung durchmachen, aber sie sind doch deutlich differenzierter gezeichnet. Gabriel Oak ist der klare Sympathieträger des Romans, aber ich fand besonders Boldwood und dessen tragische Entwicklung interessant zu lesen.

Alles in allem habe ich „Am grünen Rand der Welt“ zwar gern gelesen, hätte mir aber eine durchdachtere Charakterentwicklung von Bathsheba und weniger Generalisierungen gewünscht. Ich habe mir dann auch die Verfilmung von 2015 angeschaut und auch wenn vieles aus Zeitgründen vereinfacht und gekürzt werden musste, finde ich doch, dass in dieser Bathsheba als Person stimmiger wirkt.

1 thought on “Thomas Hardy – Am grünen Rand der Welt

  1. Ja, bei mir ist es ja nun schon eine Weile her, aber ich erinnere mich, dass ich mit Bathsheba auch immer wieder meine Probleme hatte, hätte es aber nicht so deutlich benennen können. Spaß beim Lesen hatte ich aber trotzdem auch. 🙂

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