Krimi/Thriller Rezensionen

Stephen King – Der Anschlag

Genre: Zeitreiseroman, Thriller
Seiten: 1.056
Verlag: Heyne
ISBN: 978-3453267541
Meine Bewertung: 2,5 von 5 Sternchen

Der Lehrer Jake Epping wird von seinem todkranken Freund Al mit einer ganz besonderen Aufgabe betraut: Jake soll das Attentat an Kennedy verhindern. Denn in Als Restaurant führt eine Tür ins Jahr 1958. So macht sich Jake also auf, um unter dem Namen George Amberson fünf Jahre lang in der Vergangenheit zu leben. Neben dem Attentat gibt es auch noch ein anderes Ereignis, das er verhindern möchte. Doch die Zeit wehrt sich gegen Veränderungen …

Ich bin kein allzu großer Stephen King-Fan, was nicht nur daran liegt, dass ich Horror eher meide, sondern auch, dass ich seinen Schreibstil nicht so sehr mag. Oft ist er mir vor allem eins: zu geschwätzig, und das kann man leider auch von „Der Anschlag“ über große Strecken behaupten.
Dabei ist die Thematik und die ganze Idee durchaus faszinierend. Mit so vielen Jahren Abstand und aus österreichischer Sicht betrachtet, konnte ich zwar nicht ganz nachvollziehen, was für ein, nun ja, Trauma der Tod Kennedys in den USA verursacht hat, aber dass nach Als und Jakes Ansicht quasi der halbe Weltfrieden daran hängt, muss man so als Prämisse auch einfach mal hinnehmen.

Bevor Jake sich aber der Rettung Kennedys widmen kann, gilt es einen Mord in dem Städtchen Derry zu verhindern. Derry ist ja, wie ich beim Lesen erschrocken feststellen musste, der Schauplatz von „Es“. So werden auch die Ereignisse von „Es“ thematisiert und Jake begegnet auch zwei der dortigen Protagonisten.
Nun nimmt diese ganze Derry-Episode schon mal relativ viel Raum ein im Roman – und ich habe mich ein paarmal gefragt „warum?“. Gut, es wird dadurch die ganze Zeitreise-Problematik ganz gut gezeigt und vor allem die Zeit als etwas, das sich aktiv gegen Veränderungen wehrt, dargestellt, aber dennoch kam es mir ein wenig so vor, als wollte Stephen King einfach unbedingt wieder zurück nach Derry. All die Ereignisse in dem Städtchen erscheinen also wie ein reiner Vorwand – notwendig für die Handlung ist nämlich die gesamte Derry-Episode eigentlich nicht (zumindest nicht in dieser Ausführlichkeit).

Als es schließlich weiter geht in den Süden, geht es zunächst vor allem darum, dass Jake sich ein Leben in der Vergangenheit aufbaut. Er arbeitet (sehr erfolgreich) als Lehrer und findet seine große Liebe, ehe er sich seiner eigentlichen Aufgabe zuwendet.
Und da kommt allmählich der Punkt, an dem der Roman etwas zäh wurde. Derry war so gesehen ein wenig überflüssig, allerdings an keiner Stelle langweilig, und Jakes Versuch, in der Vergangenheit Fuß zu fassen, las sich ebenfalls flott weg. Aber umso mehr sein Leben schließlich davon bestimmt wird, sich an die Fersen von Lee Oswald zu heften, umso mühsamer wurde das Lesen. Viele, viele Seiten lang beschattet Jake Oswald, grübelt über seine Schuld nach, belauscht Gespräche, usw. usf. Ich war stellenweise wirklich nahe daran, den Roman abzubrechen, war dann aber doch zu neugierig darauf, wie er enden würde.

Leider hat mich das Ende schließlich ebenfalls sehr enttäuscht. King hätte soviel Potenzial für ein interessantes Ende gehabt, das seine Hauptfigur auch in einen starken inneren Konflikt stürzt, aber nein, stattddessen macht er es Jake leicht und lässt ihm ohnehin keine wirkliche Wahl. Darüber habe ich mich wirklich geärgert, da der Schritt zu einem viel interessanteren Ende und einem echten moralischen Zwiespalt des Ich-Erzählers nicht allzu groß gewesen wäre.

Noch dazu wird mit dem Ende die ganze Thematik mit der Zeit, die sich wehrt und dem berühmten Schmetterlingseffekt noch einmal auf die Spitze getrieben. Da aber gerade in diesen Punkten die innere Logik auf dem Krückstock daherhumpelt, hatte ich mit dem Ende erst Recht Probleme.
Ja, die Zeit, die sich wehrt … Den ganzen Roman hindurch wirkt diese Sache sehr konstruiert und nicht wirklich gut durchdacht. Gerade im Hinblick auf den oft zitierten Schmetterlingseffekt wird ja klar, dass Jake alleine durch seine Anwesenheit ständig die Vergangenheit ändert. Warum also wehrt sich die Zeit nur gegen die Dinge, die er ganz bewusst ändern möchte? Warum kann er sich sonst ständig in die Vergangenheit einmischen und das Leben mehrerer Menschen ganz deutlich verändern, ohne dass sich die Zeit wehrt? Und weshalb wehrt sich die Zeit nur so halbherzig – gerade nur soweit, dass Jake immer wieder Hindernisse überwinden muss, dabei aber stets eine faire Chance bleibt? Das hat für mich alles nicht so recht funktioniert.

Und schließlich hatte ich auch meine Probleme mit der Hauptfigur. Jake ist ein nahezu klassischer Held, der auch dann, wenn er schwer verletzt ist und eigentlich nur noch armselig wimmern dürfte, noch ein paar markige Sprüche loslässt, trotz all seiner Handlungen immer auf der Seite der „Guten“ bleibt, sich stets aufopfernd verhält, von (fast) allen gemocht wird und seine Sadie stets von ganzem Herzen liebt, ganz egal, was geschieht. Kurz gesagt: Ich fand Jake die meiste Zeit recht fad und definitiv zu „gut“.
Außerdem hatte ich gerade am Anfang Probleme damit, ihn als einen Mann Anfang 30 zu betrachten, der aus dem Jahr 2012 kommt. Vieles in der Vergangenheit wirkt wie pure Nostalgie, wie von jemandem erlebt, der in dieser Zeit seine Jugend verbracht hat. Es ist auch schwer vorstellbar, dass jemand, der die meiste Zeit seines Lebens an Computer, Internet und Handys gewöhnt war, diese Dinge gar nicht vermisst und auch gleich auf einer alten Schreibmaschine lostippt, als hätte er nie etwas anderes getan. Oft wirkt Jake also nicht wie jemand Anfang 30, sondern wie in deutlich älterer Mann, oder um es etwas deutlicher zu formulieren: wie sein Autor, der mit Nostalgie an die Zeit seiner Jugend zurückdenkt.
Und zuletzt ist es auch etwas seltam, dass Jake, der ja nun nicht wie ein Misanthrop wirkt, anscheinend keinen einzigen Menschen aus seiner Gegenwart vermisst. Das ist ein wenig traurig und angesichts seines Charakters recht unverständlich.
So, diese Rezension ist nun in der Länge etwas ausgeufert, aber „Der Anschlag“ ist ja auch ein sehr dicker Roman.

Als Fazit kann ich nur sagen: Es gab etliche Dinge, die mich an dem Roman gestört haben, trotzdem hat er sich alles in allem recht gut gelesen. Bedenkenlos weiterempfehlen kann ich ihn aber beim besten Willen nicht. Vielleicht für eingefleischte King-Fans, die dann auch mit der ganzen Derry-Episode ihre Freude haben dürften.

Und nun noch eine kleine Sache, die ich ganz am Rande noch erwähnen möchte, nämlich zum Thema: Wenn Sexszenen unfreiwillig komisch werden. So lässt sich Sadie in ihrer Ekstase zu folgender Litanei hinreißen: „O Schatz, o mein Schatz, o mein lieber lieber Gott, o Liebster!“
 Wer hier hat auch früher auf dem Blog der FrauKatz mitgelesen und sich dort über ihre Besprechung der „Hebamme“ amüsiert? Und kann sich vielleicht noch an die Szene zwischen der holden Marthe und Christian erinnern, wo der gute Chris im Rhythmus der Bewegungen (sic!) von sich gibt „Meine Geliebte, meine Frau, meine Gefährtin!“?
Ja … Soviel also zum Thema, dass auch große Autoren mitunter bei Sexszenen mal so richtig danebengreifen. Immerhin würden aber Sadie und Christian zusammen einen netten Sprechchor abgeben …

2 thoughts on “Stephen King – Der Anschlag

  1. *g* So detailliert habe ich die Verkatzungen nicht mehr im Kopf gehabt, aber nun fürchte ich, dass ich deinen Chorvorschlag nicht so schnell wieder verdrängen kann! 😉

    (Zu schade, dass der Frau Katz wohl das Leben zwischen den Blog und die Bücher gekommen ist. 🙁 )

    1. Ich hab mich damals bei der Hebamme so darüber amüsiert, das sich das bei mir wohl unauslöschlich eingebrannt hat (oder aber ich hab ein beängstigend gutes Gedächtnis für Schweinekram …).
      Ja, es ist sehr schade, dass Frau Katz derzeit nicht blogt. 🙁

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